Ein Blick auf das Erste Testament.
Wenn es um Argumente gegen die Ehe für alle geht oder Homosexualität als unnatürlich oder sündig bezeichnet wird, wird immer wieder die Bibel zitiert. Gott habe hier Homosexualität eindeutig verurteilt. Aber stimmt das so? Verurteilt die Bibel Homosexualität?
Grundsätzliche Gedanken zum Umgang mit der Bibel
Die Bibel ist nicht einfach ein Buch, wie es ein zeitgenössischer Roman oder Sachbuch sind, auch wenn sie äusserlich so daherkommt. Die Bibel besteht viel mehr aus vielen verschiedenen Büchern, die über 1000 Jahre hinweg nicht nur in unterschiedlichen Zeiten, sondern auch unterschiedlichen Kulturen entstanden sind. Mehr dazu hier:
Zudem gehören die Texte sehr unterschiedlichen Gattungen an. Manche biblischen Bücher sind Chroniken, manche Gesetzestexte. Einige enthalten Gesänge, andere Sinnsprüche. Manche sind Briefe, andere Prophezeiungen und Visionen. Sie erzählen von spezifischen Gotteserfahrungen spezifischer Menschen. Sie zeugen auch von dem steten Ringen um Tradition und Wandel und um die zutreffende Auslegung der dem jeweiligen Text vorausgehenden Schriften.
So leitet auch der neutestamentliche Jesus seine Aussagen oft mit «ich aber sage euch» ein. Er besteht damit auf seine eigene Wertsetzung und Deutung.
Darum ist der Blickwinkel, aus dem die Texte geschrieben wurden, von grundlegender Bedeutung. Jede Zeit erzählte mit einem eigenen Blick, geprägt vom jeweiligen historischen Umfeld. Gleichzeitig ist es unverzichtbar die einzelnen Bibelstellen aus dem Gesamtzusammenhang her anzusehen. Grundlage ist die Liebe Gottes zur ganzen Schöpfung. Bibelteile sind in diesem Licht zu lesen.
Zum Verständnis von Homosexualität
Homosexualität, wie sie heute verstanden wird, war den Menschen in biblischen Zeiten fremd. Ihr Blick auf Sexualität bezog sich auf einzelne Handlungen. Feste, gleichgeschlechtliche, partnerschaftliche Beziehungen oder eine sexuelle Ausrichtung als Identitätsmerkmal waren kein Teil ihrer Weltsicht.
Die Gesetzbücher des Ersten Testaments sollen das Zusammenleben regeln. Sie behandeln unterschiedlichste Fragen (auf was ist beim Hausbau zu achten, wie ist mit Ehebruch umzugehen, wer darf Zeuge sein …). Hier finden sich auch die beiden Verbote (Lev 18,22 und 20,13). Dabei geht es um ganz spezifische sexuelle Handlungen.
So heisst es in Lev. 18,22: Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; das wäre ein Gräuel. Beide Stellen aus Leviticus haben keine homosexuelle Partnerschaft vor Augen, sondern einen bestimmten Sexualakt, der als für Männer entwürdigend gilt: anale Penetration.
Sie war in der Antike ein Mittel, um Macht gegenüber Unterlegenen zu demonstrieren. Der vergewaltigte Mann wurde durch die erzwungene weibliche Rolle erniedrigt. Diese Form der Machtdemonstration wird in biblischen Texten verurteilt.
Doch auch verschiedenste andere Handlungen werden als Gräuel bezeichnet. Dazu gehört etwa der Verzehr von Meeresfrüchten oder der Verzehr von Blut (Dtn 11,10 und 19,26), weil der «Lebenssaft» einem Tabu untersteht. Aus diesem Grund gilt auch Geschlechtsverkehr mit einer Menstruierenden als Gräuel.
Ein anderer Bibeltext, der von manchen als Verurteilung von Homosexualität gelesen wird, ist die Geschichte von Sodom und Gomorrha.
Sodom: Gen. 19,4–13 (und Richter 19)
Beide Texte erzählen von der Rettung Lots und dem Untergang der Stadt Sodom, in der er lebt. Zwei Engel suchen ihn auf. Er empfängt sie, wie es sein Glaube verlangt, gastfreundlich. Doch die Männer der Stadt versammeln sich vor seinem Haus und verlangen die Herausgabe der Gäste zur Vergewaltigung. Lot, der sie beschützen will, wird selbst bedroht.
Darauf fordern die beiden Engel Lot auf, seine Angehörigen mitzunehmen und zu gehen, weil sie die Stadt vernichten werden. Darin wird bis heute von manchen eine Verurteilung von Homosexualität gesehen. Abgesehen davon, dass wohl kaum alle Männer Sodoms homosexuell waren, geht es eindeutig um die Androhung sexueller Gewalt und eine Verletzung des Gastrechts. Es geht nicht um homosexuelle Beziehungen. Es geht um fremdenfeindliche, sexuelle Gewalt von Männern gegen Männer.
Dem gegenüber stehen Bibeltexte, die innige gleichgeschlechtliche Beziehungen in einem positiven Licht schildern. Die Erzählungen von David und Jonathan oder das Buch Ruth zeigen eine tiefe Verbundenheit, die die Beziehungen als besondere auszeichnet.
Rut bindet sich mit einer Aussage an ihre Schwiegermutter, die auch heute noch für Hochzeiten verwendet wird: „Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich.
Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.“ (Rut 1,16) Das hebräische Wort, das der Text für Ruts Entscheidung bei Noomi zu bleiben benützt, ist genau dasselbe, mit dem die Schöpfungsgeschichte schildert, wie ein Mann seine Eltern verlassen und sich an eine Frau binden wird.
Jonatan schwört David und seiner Familie über Generationen die Treue. Als er stirbt, trauert David mit den Worten „wunderbarer war mir deine Liebe als die Liebe der Frauen“ (2Sam 1,26) um ihn. Beide Beziehungen werden wertschätzend geschildert und sowohl David, als auch seine Ahnmutter Ruth werden dann in der Ahnenreihe Jesu erwähnt.
Eine grundsätzliche Verurteilung von Homosexualität, wie wir sie heute kennen, lässt sich aus dem ersten Testament nicht ableiten. Wir müssen uns auch fragen, warum wir ausgerechnet am Urteil zweier Bibelstellen über einen spezifischen Sexualakt als Ablehnung von Homosexualität festhalten, während die viel umfassenderen Speisege- und -verbote des Erstens Testaments für uns keinerlei Rolle mehr spielen.