Die Welt ist in Schieflage geraten, nicht erst seit dem Ukraine-Konflikt. Und braucht dringend Sauerstoff in Form von Zuversicht. Die «Meldestelle für Glücksmomente» und die «Fachstelle Bildung und Propstei» experimentierten in Aarau erstmals mit einem temporären Amt für Zuversicht. Auszüge aus dem Feldtagebuch des Amtsschreibers.

Aarau – Donnerstagnachmittag, Rathausgasse, unter den Lauben. «Haben Sie schon von der Lesung auf dem Rathaus-Balkon gehört?», unterbricht eine Frau den Gang eines älteren Mannes, der im strömenden Regen mit seinem Rollator unterwegs ist. «Nein? Heute um 18 Uhr findet eine Lesung statt über all das, was Menschen auch in schwierigen Zeiten Lebensmut und Zuversicht gibt», ergänzt die Mitarbeiterin des temporären Amts für Zuversicht und begleitet den Mann in gemächlichem Tempo eine Wegstrecke lang. «Die Bewilligung haben wir schon. Das Einzige, was uns noch fehlt, ist der Text. Können Sie uns vielleicht weiterhelfen?»

Der Friseursalon als Quelle der Zuversicht

Bereitwillig geben die angesprochenen Passantinnen und Passanten Auskunft. Dass ihnen zugetraut wird, etwas zu einer öffentlichen Lesung an prominenter Stelle beizutragen, motiviert sie, sich auf die Frage einzulassen und nach Antworten zu suchen: «Dass ich die Prüfung bestanden habe. Dass es im Leben schon oft gut kam. Dass meine Familie und mein Hund zuhause auf mich warten.» Ganz offensichtlich fühlen sie sich geehrt, gefragt zu werden.

«Velos anstellen verboten», steht beim Obertor. Von Tisch und Stuhl ist keine Rede. So sucht das Amt für Zuversicht hier Schutz vor dem Regen, installiert die temporäre Amtsstube. Ein Mitarbeiter des Amtes geht im benachbarten Friseursalon «Monica & Michele» auf Stimmenfang. Und kommt wenig später mit einem Bündel an Meldungen zurück: «Wenn ich ein Lächeln zurückbekomme. Dass ich weiss, wofür ich lebe. Meine Vorfreude auf das nächste Bier.» In kurzer Zeit füllt sich das «Tagebuch der Zuversicht», die Schriftrolle gewinnt schnell an Länge.

Der Regen als Soundtrack

Es regnet weiterhin in Strömen. Der Regen als Soundtrack und Symbolträger des Themas. Die passende Illustration der Widrigkeiten, die uns im Alltag und in den Medien entgegenkommen. «Wir haben eine Pflicht zur Zuversicht», erinnert uns der Philosoph Immanuel Kant an unsere Verantwortung als Eltern, Lehrpersonen, Mitmenschen oder Weltenbürger. Gerade in prekären Zeiten wie diesen. Zuversicht als geistige Widerstandskraft, als menschliche Grundhaltung. Tropfen fallen auf den Asphalt und hüpfen zurück. Eine Demonstration der Kunst, im Regen zu tanzen.

Passanten finden Schutz unter dem Regenschirm, ein vertrautes Gespräch entsteht, eine Nähe zwischen bisher unbekannten Menschen. Die Zuversicht des andern wirkt ansteckend, schwappt über, löst eigene Meldungen aus. «Dass es junge Menschen gibt, die aufstehen und die Erwachsenen an ihre Verantwortung erinnern. Dass es nicht immer eine Mehrheit braucht, um in unserer Gesellschaft etwas zu verändern. Und dass auch ich die Veränderung sein kann, die ich mir für diese Welt wünsche.»

Anstiftung zum Zukunftsoptimismus

Aargauer Platz, Warten vor der roten Ampel. Nach dem Vorbild des Wiener Zettelpoeten kleben auf Augenhöhe kleine Ampelmeldungen, die über Lösungsansätze aus aller Welt berichten. Die Welt ist voller kleiner und grosser Lösungen, die es längst gibt, die aber noch zu wenig bekannt sind. Wie zum Beispiel das Studienergebnis, dass kulturelles Engagement und Lebensdauer zusammenhängen: Wer sich für Kultur interessiert, hat ein geringeres Risiko zu sterben. Kultur verlängert Leben.

Kurz vor 18 Uhr zieht das Amt für Zuversicht nochmals um, verschiebt sich vom Obertor zum Aarauer Rathaus. Mit leichter Verspätung beginnt auf dem Rathaus-Balkon die Lesung aus dem soeben entstandenen «Tagebuch der Zuversicht», fünf Meter lang. Ein Kaleidoskop, was Menschen trotz allem Zuversicht gibt. Eine willkommene Ermutigung und Anstiftung zum Zukunftsoptimismus. Das «Amt für Zuversicht» sollte keine Eintagsfliege bleiben. «Eigentlich müssten wir auf Tournee gehen», sind sich die Beteiligten einig. Vielleicht demnächst irgendwo im Vorarlberg.

Text Mark Riklin
Bilder Peter Michalik

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