Wir können einige Wochen ohne Essen auskommen, einige Tage ohne Wasser, aber nur 5 bis 15 Minuten, ohne zu atmen. Atem ist Leben. Wer den Atem anhält, kann diese elementare Lebenskraft deutlich spüren. Sie wächst schnell zum unwiderstehlichen Drang an und fordert von uns, den Atem wieder fliessen zu lassen, uns nicht vom Leben abzuschneiden. Mit 68 Jahren haben wir ca. 300.000 qm Luft eingeatmet: Luft, die wir mit allem Leben um uns – seien das Mitmenschen, Pflanzen oder Tiere – teilen.
Im Hebräischen heisst Atem Nefesch. Doch Nefesch umfasst noch mehr: es ist die Kehle, durch die der Atem strömt, die Nahrung aufnimmt, in der unsere Stimme wohnt. Kein Wunder steht Nefesch ebenso für Leben, Seele und Person. Mit der Kehle und dem Atem sind Stimmungen, Leidenschaften und Lebenskraft eng verbunden. Es geht immer um den ganzen Menschen (mit Leib und Seele). Die Seele lebt im Atem und belebt so den Körper. Der Atem macht ein Ich, eine Person daraus.
Wer in der hebräischen Bibel Nafschi (meine Kehle, mein Atem) sagte, sagte ganz betont: Ich selbst, mein ganzes Ich. Mein Atem – das bin ich, ganz unmittelbar. Kein Atemzug ist wie der vorherige. Der Atem trägt unsere Stimme trägt und lässt all unsere Gefühle und Empfindungen wie ein Spiegel sichtbar werden.
Mein Atem ist zugleich auch mehr als ich. Der Atem weist über uns hinaus auf den Atem allen Atems, die alles durchdringende Geistkraft: Die Geistkraft Gottes hat mich gemacht, zum Leben gebracht hat mich der Atem der Gottheit (Hiob 33,4). Ruach ist immer auch Bewegung. Ob als Wind, Sturm, Lebensatem oder göttliche Schöpfungskraft – sie ist in Bewegung ist und sie bringt Bewegung.